Physiotherapie im Dilemma

Arbeiten wir für den Patienten oder für das System?

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In den letzten fünf Blog-Beiträgen habe ich Ihnen die Mission unseres Unternehmens erläutert. Doch zu diesem Thema gibt es noch etwas mehr zu sagen.

Eine Mission oder eine persönliche Vision, die nach einem ausgedehnten gedanklichen Reifungsprozess zu Papier gebracht worden ist, verliert an Kraft, wenn sie nicht gelebt wird.

Die geistige Einstellung, das Gedankengut muss umgesetzt werden, sonst bleiben es nur schöne Worte. Gerade im sozialen Bereich gibt es trotz erfolgreicher Umsetzung Gefahren, die man kennen sollte. Ich spreche aus eigener Erfahrung und möchte auf diese Falltüren hinweisen.

In der Physiotherapie arbeiten die „Selbständigen“ oftmals 50 bis 60 Stunden in der Woche. Ich kenne Praxen, wo die Patienten beim ersten Behandlungstermin statt 20 Minuten, 40 Minuten bekommen. Die ersten 20 Minuten zahlt die Kasse, die zweiten 20 Minuten gehen als Service auf Kosten der Praxis. Warum? Damit der Patient vor der Behandlung entsprechend untersucht werden kann. In der Physiotherapie nennen wir das: „Wir erheben einen Befund„.

Wenn die Behandlung erfolgreich gestaltet werden soll, dann ist diese Befunderhebung nötig. Warum? Der Patient kommt doch mit einem Rezept zu uns, worauf eine Diagnose steht. Das ist richtig.

Wir behandeln jedoch keine Diagnosen, sondern Menschen mit Schmerzen und funktionellen Einschränkungen. Das ist nur durch eine klassische Diagnose meist nicht erklärbar. Die meisten Diagnosen sind apparativ gestützt. Röntgenbilder, Ultraschall oder Kernspin zeigen strukturelle Veränderungen, die jedoch als die Folgen von funktionellen Einschränkungen, resultierend aus dem Alltag hervorgegangen sind.

Die Weltgesundheitsorganisation sagt, dass 90 % aller sogenannten Zivilisationserkrankungen aufgrund unseres Lebensstils entstehen.

Um herauszufinden, welche Faktoren für eine natürliche Selbstregulation des Körpers ungünstig sind, ist eine gute, intensive klinische Untersuchung unerlässlich. Diese wird jedoch nicht bezahlt.

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Jetzt haben Sie als Therapeut die Wahl. Diene ich dem System oder den Patienten? Diene ich dem System, hat der Patient sicher Nachteile. Diene ich den Patienten, ist der Patient mit Sicherheit besser bedient. Der Therapeut hat jedoch einen zeitlich größeren Aufwand und finanziell klar einen Nachteil.

Ich habe mit meinem Unternehmen über Jahrzehnte diese Servicetermine durchgezogen. Ich habe mir einmal ausgerechnet, dass dies bei meiner damaligen Praxisgröße Einnahmeverluste pro Jahr von über 100.000 (damals DM) waren.

Diese Einnahmen fehlen und müssen durch Mehrarbeit kompensiert werden. Es kommt noch hinzu, dass wir Physiotherapeuten zu den 20 Berufsgruppen in Deutschland gehören, die am schlechtesten bezahlt werden.

Warum wir trotzdem so agieren, wie wir es tun und damit oft unsere eigene Gesundheit gefährden, erkläre ich in den nächsten beiden Blog-Beiträgen.

Ihr Hubert Brüderlein

Grafikquelle: https://stock.adobe.com/de/ © aytuncoylum, © zinkevych

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