Wie klingt eigentlich Schmerzfreiheit?

Die erstaunlichen Ergebnisse der Musiktherapie

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Rita Süssmuth, ehemalige Gesundheitsministerin, hat beim Schmerz- und Palliativtag 2018 eine klare Forderung gestellt: „Es kann nicht sein, dass in sogenannte austherapierte Menschen kein Geld mehr investiert wird.“ Ich kann diese Forderung nur unterstreichen, denn auch in meiner Praxis habe ich es regelmäßig mit Menschen zu tun, die als „austherapiert“ gelten und keinen Ausweg mehr aus Ihrer „Schmerzkarriere“ zu finden glauben. Dabei gibt es meiner Erfahrung nach sehr wohl Auswege aus dieser Einbahnstraße.

Über den Tellerrand eingefahrener Therapiewege zu schauen, das ist für mich seit vielen Jahren Credo. Weil ich seit jeher versuche, offen zu bleiben für Entwicklungen, kann ich unter anderem heute die mehr als effektive Schmerztherapie nach Liebscher und Bracht in meiner Praxis anbieten. Sie basiert auf einem völlig neuen Bild von Schmerz. Noch vor wenigen Jahren war die enorme Bedeutung der Faszien und der Muskelspannung in der breiten klassischen Therapielandschaft nicht angekommen. Heute gilt sie schon beinahe als Basiswissen.

So bahnbrechend einzelne Therapieansätze auch sein mögen, ich denke: Vor allem Schmerzchroniker, die bereits einen langen Leidensweg hinter sich haben, kann man nicht mit nur einem Therapieansatz helfen. Es gilt also, eine Kombination aus individuellen Begleittherapien zu stricken, in der sich verschiedene Disziplinen die Hand reichen. Eine wissenschaftlich inzwischen längst nachgewiesene Begleittherapie ist die Musik!

JA, Sie haben richtig GEHÖRT. Man weiß heute, dass Musik sich direkt auf die Funktion des Limbischen Systems im Gehirn auswirkt. Das Limbische System ist auch zuständig für die Emotionen – also die Psyche. Wissenschaftliche Studien haben bewiesen, dass mindestens 50 Prozent der chronischen Schmerzzustände (Klassiker Rückenschmerzen) wesentlich von der Psyche beeinflusst werden. Da liegt es doch nahe, Musik als begleitende Therapie einzusetzen. Und genau das passiert heute immer mehr.

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Chirurgen spielen ihren Patienten vor, während und nach der OP bestimmte Musik vor. Warum ist das so? In einer Studie des Salzburger Schmerzspezialisten Univ.-Prof. Dr. Günther Bernatzky wurde nachgewiesen, dass mit einer begleitenden Musiktherapie der Anteil an postoperativen starken Schmerzmitteln um 54 Prozent gesenkt werden konnte. Der Anteil an Schlafmitteln gar um 64 Prozent.

Hinter diesem Effekt steht eine einfache Beeinflussung des Vegetativen Nervensystems. Das Limbische System sorgt durch die Musik für eine Entspannung der Skelettmuskulatur. Alleine diese Muskelentspannung kann bei Patienten schon für eine deutliche Schmerzlinderung sorgen (kein Wunder, wenn man weiß, dass Schmerzen oft auf einer Fehlspannung der Muskeln basieren). Passende Musik wirkt zusätzlich blutdrucksenkend und kontrolliert die Herzfrequenz. Aber auch auf hormoneller Ebene tut sich einiges. Kortisol – das klassische Stresshormon – wird spürbar abgebaut. Gleichzeitig schüttet der Körper Endorphine, Oxytocin und Serotonin aus. Endorphin ist ein körpereigenes Opiat, das die Schmerzrezeptoren blockiert – man spürt weniger. Oxytocin ist das sogenannte „Kuschelhormon“. Es sorgt für ein geborgenes Gefühl. Und Serotonin ist das schnell verfügbare Glückshormon, das die meisten Menschen aus Schokoladenkonsum kennen …

Bleibt die Frage, ob man zur Therapie jede Musik verwenden kann. Die Antwort heißt: Nein! Hier zeigt sich nämlich wieder, wie wichtig die Individualität der Therapie ist. Denn jeder Mensch empfindet andere „Töne“ als angenehm. Hier spielt vor allem auch die kulturelle Prägung mit hinein. Einige grundsätzliche Regeln haben sich in der Forschung zur Musiktherapie aber doch herauskristallisiert.

  • Rhythmen, die einem normalen Herzschlag von 60 bis 70 Schlägen pro Minute entsprechen, beruhigen.
  • Melodik, Harmonie und Struktur sollten einfach sein: Es empfehlen sich Andante, Adagio und Largo.
  • Die helle Klangfarbe Dur kann in langsamerem Rhythmus als anregend, in zu schnellem Rhythmus als stressfördernd empfunden werden. Die dunkle Klangfarbe Moll wirkt in getragenem Rhythmus „herunterziehend“, also negativ, im mittleren Rhythmus kann sie aber beruhigend wirken. Ein zu schneller Rhythmus aber macht auch Moll-Klänge aggressiv.

Was heißt das für uns als Therapeuten? Dass wir – egal mit welchem Therapieansatz – auf unseren Patienten hören müssen. Und das ist die Kunst!

Apropos Kunst, nächste Woche würde ich gerne über Kunsttherapie schreiben. Ich hoffe, Sie bleiben neugierig!

Ihr Hubert Brüderlein

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