Es geht nicht um Krankheitsbekämpfung, sondern um Gesundheitsziele
Meinen letzten Artikel zum Thema Biofeedback und Neurofeedback möchte ich mit der Frage beginnen, ob interessante Therapieansätze wie Biofeedback wirklich nur etwas für „Kranke“ sind. Meine Antwort ist ganz klar: Nein!
Der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923 – 1994) führte in den 1980er Jahren eine neue Sichtweise auf Krankheit und Gesundheit ein – die Salutogenese (von lateinisch „salus“ = Gesundheit und „genese“ = Entstehung). Bis zu diesem Zeitpunkt sah die klassische Medizin ihre Fragestellung in der „Pathogenese“ – wie entsteht Krankheit und wie kann man sie bekämpfen? Die Salutogenese geht von der Frage aus: Wie entsteht Gesundheit und wie kann man sie fördern? Dabei verstand Antonovsky Gesundheit nicht als statischen Zustand von Abwesenheit von Krankheit, sondern als im Fluss befindliche Entwicklung mit einem klaren Qualitätscharakter. Die Salutogenese definiert attraktive Gesundheitsziele, die es zu erreichen gilt und für die mögliche Ressourcen erschlossen werden sollen – auch dann wenn subjektiv keine Beschwerden vorliegen. Antonovsky trat übrigens nicht für einen Paradigmenwechsel weg von der Pathogenese ein, sondern sah die Salutogenese als Erweiterung zur Pathogenese.
Es sind drei Ebenen, über die man nach Antonovsky einen sogenannten „Kohärenzsinn“ erreichen könnte, die Fähigkeit, seine individuellen Ressourcen zur Förderung der Gesundheit zu nutzen:
- Die Verstehensebene sagt aus, dass man sowohl positive wie auch negative Umstände in einem größeren Zusammenhang durchblickt.
- Die Bewältigungsebene stellt das Gefühl dar, das eigene Leben immer bewältigen zu können.
- Die Sinnebene symbolisiert den Glauben daran, dass das eigene Leben und Tun einen Sinn hat.
Antonovskys Salutogenese beinhaltet damit wesentliche Faktoren, die auch beim Biofeedback zum Tragen kommen. Die Patienten lernen zunächst, ihre Körperfunktionen zu verstehen, um dann die Werkzeuge zu erlernen, sie positiv zu beeinflussen. Und der Sinn dabei? Aus meiner Sicht eben NICHT nur das Heilen von Krankheit, sondern das aktive Fördern des Wohlbefindens aus jeder Lebenssituation heraus. Dieser Ansatz führt automatisch zu einer Selbstoptimierung und Leistungssteigerung. Im beruflichen Bereich und auch im Spitzensport werden Bio- und Neurofeedback längst in diesem Sinne angewandt. Aber es muss nicht jeder ein Spitzensportler werden! Auch ist es zweifelhaft, wenn jemand sein Stressmanagement so trainiert, dass er rund um die Uhr arbeiten kann. Ziel bei der Selbstoptimierung ist nicht, in einem Umfeld besser zu funktionieren. Sondern es steht immer der Mensch im Mittelpunkt, der für sich selbst mehr Wohlbefinden und Lebensqualität erlangen möchte. Dass dies mit einer optimalen und proaktiven Nutzung der eigenen, sehr individuellen Ressourcen geschehen sollte, entspricht genau der Philosophie unserer Praxis: dem Wandel vom passiv-leidenden Patienten zum aktiv-handelnden Gestalter der eigenen Gesundheit. Wir als Therapeuten können hier lediglich Begleiter auf einen selbst gewählten Weg sein, der nicht nach der Praxistür aufhört.
Ihr Hubert Brüderlein