Alles hat zwei Seiten – auch der Stress

Wenn aus Herausforderung Überforderung wird, wird es ungesund

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Psychischer Stress beeinflusst die Selbstregenerationskräfte des Körpers. 2011 beschäftigte sich der Zeit-Journalist Harro Albrecht mit der „unterschätzten Kraft der Regeneration“. Am Ende seines hochinteressanten Artikels geht er auf den Aspekt des negativen Stresses ein. Unter anderem erzählt er von einem Experiment des Leiters des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, Andreas Meyer-Lindenberg. Der zwang Probanden im Labor zu einer Art Akkord-Kopfrechnen. Gleichzeitig zeigte er einen Leistungsmesser auf dem Bildschirm. Egal wie schnell oder richtig die Probanden auch rechneten, es wurde ihnen permanent eingeredet, dass sie die mit Abstand schlechtesten Ergebnisse lieferten.

Die Körperreaktionen waren direkt ablesbar. Im Gehirn ist die Amygdala zuständig für die Verarbeitung negativer Emotionen. Das Cingulum indes reagiert empfindlich auf sozialen Stress. Beide Strukturen reagierten auf das Mathe-Experiment mit Dauerfeuer und trieben das schädliche Stresshormon Kortisol in die Höhe, das sich, wie wir aus dem letzten Artikel wissen, unter anderem verzögernd auf die Wundheilung auswirkt. Meyer-Lindenberg interessierte sich auch dafür, wieso einzelne Probanden wesentlich unempfindlicher auf den negativen Stress reagierten und veröffentlichte schließlich eine Arbeit im Fachblatt „Nature“. Demnach kann das Leben in einer Stadt die Ängstlichkeit und damit die Reaktion auf negativen Stress erhöhen. Viel interessanter ist aber der Aspekt, dass vor allem jene Menschen stressschwächer reagieren, die das Gefühl haben, die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben. Eine hochinteressante Quelle sind dazu die beiden „Whitehall-Studien I und II“ aus den 60er/70er Jahren des letzten Jahrhunderts. In zehn Jahren Beobachtung wurde festgestellt, dass Angestellte eines niedrigeren Dienstgrades nicht nur eine höhere Sterblichkeitsrate hatten als ihre höhergestellten Vorgesetzten, sondern auch mehr Krankheitstage aufwiesen. Der durch das hierarchische Unterlegensein ausgelöste Kontrollverlust über einen wesentlichen Teil des eigenen Lebens kostete also im wahrsten Sinne Lebenszeit.

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Dass gerade Vorgesetzte weniger Stress hätten, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Und wirklich ist es alleine biologisch so, dass eine Herausforderung – nichts anderes ist Stress in seiner Anfangsphase – zunächst eher positive körperliche Reaktionen hervorruft. Belegt ist unter anderem, dass die Reaktionsgeschwindigkeit genauso zunimmt wie die Aufmerksamkeit, Muskeln werden gekräftigt und die Sehfähigkeit verstärkt. Sogar die Gedächtnisleistung schnellt in die Höhe. Und die Blutgerinnung verstärkt sich. Bedingt ist das evolutionär, denn so reagierten schon unsere Vorfahren auf drohende Gefahr, vor der sie entweder flüchten oder mit der sie kämpfen mussten.

Damit Stress zum Negativfaktor wird, bedarf es zweier Umstände: Der gestresste Organismus bekommt nicht genügend Zeit, die Stresshormone wieder abzubauen, bevor der nächste Stressauslöser zuschlägt. Und/oder der Gestresste sieht für sich keinen Handlungsspielraum, um sich der belastenden Situation zu entziehen. Einen erstaunlichen Beweis für die Gültigkeit dieser Annahme bringen Studien, die zeigen, dass Langzeitarbeitslose unter stärkerem negativem Stress leiden als hochaktive Manager. Bleibt die Frage: Kann sich jeder die Handlungsspielräume zurückerobern, die ihn vor Negativstress schützen? Diese Frage versuche ich, im nächsten Blog zu beantworten.

Ihr Hubert Brüderlein

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