Nach unserer Praxiserfahrung sind bei einem überwiegenden Teil der Rückenschmerzen-Patienten keine Schädigungen zu finden. Dies wird auch immer wieder von führenden Orthopäden in der Öffentlichkeit formuliert.
In 90 Prozent der Fälle sind keine körperlichen Schädigungen nachweisbar. Im Klartext: Es sind keine Anzeichen dafür zu entdecken, dass ein Bandscheibenvorfall auf eine Nervenwurzel drückt! Das aber ist nach der alten, herkömmlichen Meinung die am meisten vermutete Ursache der Rückenschmerzen. Deswegen werden jährlich allein in Deutschland über 200.000 Bandscheibenoperationen vorgenommen. Laut Statistiken haben bis zu 30 Prozent der operierten Patienten direkt nach der Operation die gleichen oder schlimmere Schmerzen oder die Schmerzen tauchen mit zunehmender Zeit wieder auf.
Je länger man den Beobachtungszeitraum wählt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Schmerzen wieder zunehmen. Zweifel an der Bandscheiben-Theorie schürt auch eine Untersuchung, die ergab, dass nur in weniger als fünf Prozent der untersuchten Fälle Nervenreizungen nachweisbar waren.
Tumore und Infektionen, die ebenfalls für Schmerzen verantwortlich sein können, sind nur in zwei Prozent der Fälle nachweisbar.
Röntgen- und MRT-Befunde überbewertet?
Einen sehr interessanter Artikel zu diesem Thema erschien im Magazin Focus 1995/Nr. 36, 4. September 1995 mit dem Titel: Rückenschmerzen, Volkskrankheit Nr. 1.
Er berichtet von einem Kongress in Finnland, an dem 200 Orthopäden teilnahmen. Der einladende Vorsitzende hatte die Teilnehmer gebeten, Kernspinaufnahmen der eigenen Wirbelsäule mitzubringen. Bei der Auswertung zeigte sich, dass die Wirbelsäulen von den Anwesenden deutliche Veränderungen bis hin zu Bandscheibenvorfällen zeigten, die Betroffenen aber keinerlei Schmerzen hatten.
Können Sie sich vorstellen, wie nachdenklich die Teilnehmer dieses Kongresses nach Hause fuhren?
Was dieser Kongress den anwesenden Ärzten bewusst gemacht hatte, zeigt sich im schmerztherapeutischen Alltag immer wieder:
Man entdeckt Bandscheibenschäden oder Vorwölbungen, ohne dass Patienten Rückenschmerzen haben. Die andere Seite der Medaille sind die schon erwähnten Patienten mit Rückschmerzen, bei denen man verzweifelt nach einer Schädigung sucht, welche die Schmerzen nach der herrschenden Schädigungstheorie erklären könnten, diese aber nicht findet.
Deshalb sollte jeder Patient kritisch seine eigenen Befunde hinterfragen. Vorwölbungen, Einrisse und Bandscheibenvorfälle mehren sich nämlich im Laufe der Zeit genauso wie die Falten in unseren Gesichtern.
Gelenkflächen sind von der Natur so gebaut, dass sie nicht wehtun können, sonst würde ja jeder Schritt und jede Bewegung schmerzen. Bandscheibendegenerationen in der Kernspintomographie sowie Vorwölbungen und Vorfälle mäßigen Ausmaßes sind überaus häufig und verursachen nicht unbedingt Schmerzen. Es gibt unseres Wissens auch keine valide Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Degenerationen und Schmerzen.
Im Alter von nur 50 Jahren zeigen 85 bis 95 Prozent aller Menschen bei Autopsien degenerierte Bandscheiben. In einer Studie der Universität Bern wurden zwei Gruppen von Menschen radiologisch untersucht. In jeder Gruppe wurden von Spezialisten bis zu 85 Prozent relevante (z. B. degenerative) strukturelle Bildbefunde erhoben. Interessant und entscheidend ist jedoch, dass nur eine Gruppe tatsächlich Schmerzen angab, die andere Gruppe bestand aus vollkommen schmerzfreien Probanden.
Der Wert und die Notwendigkeit von apparativen Untersuchungen wie zum Beispiel die Kernspintomographie, das CT oder die radiologische Untersuchung sind absolut unbestritten. Gottseidank haben wir diese Möglichkeiten. Nur werden diese Untersuchungen aus meiner Sicht zu oft und zu undifferenziert eingesetzt. Warum undifferenziert? Weil leider häufig eine ausgiebige klinische Untersuchung mit einer vollständigen Anamnese und einer gezielten Funktionsprüfung fehlt. Das liegt jedoch nicht am Untersucher, sondern am System. Wer profitiert davon? Das erfahren Sie im nächsten Artikel.
Ihr Hubert Brüderlein